Heimweh?

Eine Erzählung von Ulrike Vetter                                                               

Ohaaa- eigentlich bin ich schon wach, aber ich mag die Augen noch nicht aufmachen. Lieber gemütlich liegen bleiben und noch ein bisschen weiter träumen.

Ich denke an meine Heimat Griechenland.  Schon beim drandenken spüre ich die Sonne am Strand und die Kühle in den Gassen meiner kleinen Stadt.

Was waren das doch für Zeiten: meine Clique – Vassily  – meistens unser Anführer –  der freche Alastor und – vor allem – meine wunderbare blonde Chiara.

Was haben wir vier alles zusammen getrieben! Gut, wir waren eigentlich mehr oder weniger obdachlos. Aber das störte uns nur, wenn es mal arg kalt war oder lange geregnet hat. Und dann hat sich meistens jemand erbarmt und wir durften irgendwo unterkriechen. Zum Glück ist es in Griechenland oft warm.

Wir machten lange Touren am Strand entlang. Wenn es zu heiß wurde, haben wir uns hinter der kleinen Strandbar ausgestreckt. Da  war es schattig und wir haben den ganzen Tag verdöst. Ich hab noch Chiaras Duft in der Nase. Wie war das herrlich, wenn wir da nebeneinander lagen. Leider waren die beiden anderen auch in das Mädel verknallt und passten höllisch auf, dass wir uns nicht zu nahe kamen. Aber ich bin sicher, ich war ihre Nummer eins.

Ein paar hundert Meter hinter der Strandbar war unser Lieblingslokal. Fast jeden Abend sind wir da hin. Anfangs mussten wir ein bisschen betteln, denn Geld hatten wir natürlich nicht. Aber dann kannte uns Carlos der Wirt. Es hatte eigentlich immer was Leckeres zu essen für uns.

Oft sind wir auch durch den Ort gestromert und haben die Touristen beäugt – manchmal auch ein wenig belästigt. Aber irgendwie mussten wir unseren Lebensunterhalt ja sicher stellen.

Unsere bildschöne Chiara hat manches Urlauberherz im Sturm erobert, aber auch wir drei strammen  griechischen Burschen wurden zu manchem Snack eingeladen. Wir konnten sehr charmant sein, was besonders der Damenwelt gefiel.

Inzwischen hat sich mein Leben drastisch verändert. Eine besonders nette Touristin fand großen Gefallen an mir. Ich fand sie auch sympathisch  und bin gerne mit ihr ins Hotel gegangen. Aber sie hat mich schon ein wenig überrumpelt. Hätte ich mich verdrücken sollen, als sie mir sagte, sie wolle mich mit nach Deutschland nehmen? Bisschen mulmig war mir schon: was sollte aus meinen Kumpels werden? Und was würde Chiara sagen? Ich gebe zu, ich war bestechlich. Die Frau roch so gut , sie hat mich zu köstlichen Mahlzeiten eingeladen und mich nach Strich und Faden verwöhnt.

Neugierig bin ich sowieso und so nahm das Schicksal seinen Lauf.

Jetzt lebe ich also in Deutschland. Es ist nicht so schön warm wie in Griechenland. Aber ich bin nicht mehr obdachlos. Ich wohne in einer schicken Wohnung, habe ein weiches, warmes Bett, bestes Essen – doch ein guter Tausch? Meine Freunde vermisse ich – und das Meer!

Oh, da ruft sie schon nach mir: „Alex, steh auf du Faulpelz, wir gehen Gassi“. Okay, dann muss ich wohl. Sie heißt jetzt übrigens für mich „Frauchen“ und wenn wir spazieren gehen – was sie hartnäckig „Gassi“ nennt –führt sie mich an einem Lederband – heißt „Leine“. Als könnte ich nicht alleine laufen. Aber da kann man nichts machen, sie meint es gut“

Das Schöne ist: es gibt hier eine herrliche große Wiese. Da hab ich schon einige Freunde gefunden. Und das Wichtigste: ein tolles Weib ist auch immer da. Nicht so blond wie meine Chiara, eher nussbraun, aber allererste Sahne. Super ist, dass sie auch aus Griechenland stammt. Sie heißt Olympia und hat auch so ein „Frauchen“. Meines und ihres verstehen sich gut und unterhalten sich stundenlang, während wir Spaß haben.  Sie schauen dann immer zu uns rüber und das Wort „Kastration“ fällt ziemlich oft. Klingt scheußlich. Keinen Schimmer, was das bedeutet. Aber egal, gestern hat mir Olympia ins Ohr geflüstert, dass wir beide Eltern werden. Das entschädigt mich für alles. Ich denke, auch unsere „Frauchen“ werden sich über diese Überraschung riesig freuen.